Stimmen aus dem Neuland: Yannick Rouault

Yannick Rouault kennt sich aus im Rheinischen Revier. Seit mehr als zehn Jahren ist der Fotograf und Kameramann rund um die drei Tagebaue unterwegs und so etwas wie ein Porträtist des Wandels. Seit 2016 hat der gebürtige Münchner den Ort Manheim-Alt fotografisch begleitet, heute organisiert er Exkursionen, bei denen er über die Geschichte aber auch Gegenwart und Zukunft des Rheinischen Braunkohlen­reviers informiert.

2012 war ich das erste Mal im Rheinland. Direkt nach dem Abitur bin ich mit dem Auto von München nach Nordrhein-Westfalen gefahren, um eine Freundin zu besuchen, die mit Blick auf das Kraftwerk Niederaußem groß geworden ist. Die Berge meiner Kindheit heißen Neureuth, Brecherspitz und Wendelstein – die „Berge“ ihrer Kindheit Glessener Kippe und Sophienhöhe. Wie groß der landschaftliche Kontrast wirklich war, hat ein erster Blick in die Grube gezeigt. Wir standen am Aussichtspunkt in Jackerath, der damals nur ein aufgeschütteter Erdwall war. Anschließend fuhren wir durch das damals bereits weitestgehend verlassene Immerath. Diese ersten Bilder einer Region im ständigen landschaftlichen Wandel mit allen daraus resultierenden Konsequenzen haben sich in mein Gedächtnis gebrannt.

Das Rheinische Braunkohlenrevier ist einzigartig. Einen persönlichen Zugang zu dieser ganz und gar einzigartigen Region bekam ich 2016 durch die Arbeiten an meiner Langzeitfotodokumentation im Dorf Manheim, das dem Tagebau Hambach weichen musste. Laute Bilder sucht man in dieser Fotoserie vergeblich: Mir ging es um emotionale und poetische Momentaufnahmen voller Empathie für einen ganz besonderen Ort. Obwohl auf den Bildern keine Menschen zu sehen sind, erzählen meine Bilder eine zutiefst menschliche Geschichte. Anfangs von den Häusern des Ortes, später von der Natur, die den Zwischenraum erobert, bevor der Bagger kam. Überhaupt, die Natur: Auf den ersten Bildern noch von Menschenhand in Schach gehalten, zeigt sie im Verlauf meiner Fotoserie, welche Kraft sie hat.

Der Blick von außen prägt die Region. Bei meiner Arbeit in Manheim und meinen Ausstellungen bin ich immer wieder mit ganz unterschiedlichen Menschen ins Gespräch gekommen, die mit ihren Geschichten meinen Blick auf die Region geschärft haben. In diesen Gesprächen ist mir aufgefallen, dass sich die Menschen, die am Tagebau leben, meist an die besonderen Umstände gewöhnt haben und als gegeben hinnehmen. Das Außergewöhnliche dieser Region wird oft erst durch den Blick von außen sichtbar. Als ich im Juni 2020 das Feuerwehrhaus in Keyenberg fotografierte, fiel der Löschgruppenleiter aus allen Wolken, als ich ihm erzählte, dass ich für meinen Besuch aus München angereist bin. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand von außerhalb so viel Interesse für seine Heimat aufbringt. Mittlerweile ist mein Eindruck, dass sich durch das zunehmende Interesse von außen auch der Innenblick ändert. Den Menschen in der Region wird bewusst, dass das Ende der Braunkohle vor der Tür steht und ein neues Kapitel beginnt. Nur, dass die ersten Seiten dieses Kapitels bereits aufgeschlagen wurden und der Wandel in vollem Gange ist, wird noch nicht von jedem gesehen.

Der Wandel ist schon da. Veranstaltungen wie die tu! Hambach in Morschenich-Alt sind das beste Beispiel dafür, dass der Wandel bereits begonnen hat. Letztes Jahr wurde das Dorf, das sich in einer Übergangsphase zwischen Umsiedlung und Erhalt befand, aus dem Dornröschenschlaf geweckt: Für eine Woche herrschte wieder Leben und Trubel im Ort der Zukunft. Ich nutzte die Gelegenheit, um meine Bilder so nah wie noch nie am Entstehungsort auszustellen, denn Manheim und Morschenich trennen nur vier Kilometer. Und auch auf künstlerischer Ebene kamen die Dörfer zusammen: Mittlerweile arbeite ich mit Morschenichern, die ich bei der letztjährigen tu! kennengelernt habe, an neuen Projekten. Der Wandel vernetzt also auch die Menschen in der Region.

Fotoworkshop für Jugendliche auf der tu!

Auch dieses Jahr werde ich bei der tu! Hambach dabei sein und einen Fotoworkshop für Jugendliche anbieten. Mittlerweile ist fast jeder im Besitz einer guten Kamera namens Smartphone, doch das bewusste Sehen und Fotografieren will trotzdem gelernt sein. Nach einem kurzen Theorieteil können die Teilnehmenden das Zukunftsdorf Bürgewald, das reich an visuellen Eindrücken ist, auf eigene Faust erkunden. Anschließend werden die Bilder in großer Runde besprochen und noch am selben Abend auf der tu! präsentiert. Ums Sehen und Erkunden geht es auch bei einem anderen Herzensprojekt: In Exkursionen führe ich durch das Rheinische Braunkohlenrevier und bringe den Menschen eine Region näher, die viele nur aus den Nachrichten kennen. Die Touren sind Spurensuche, Wertschätzung für eine geschundene Region, gelebte Erinnerungskultur und Aufarbeitung der Vergangenheit gleichermaßen. Ein Blick in die Zukunft darf dabei aber nicht fehlen.